Die beiden Funker Wilhelm Elies und Onno Heyen erinnern sich
Ende 1998 geht eine Seefunk-Ära zu Ende: Die letzte deutsche Küstenfunkstelle Norddeich Radio stellt ihren Betrieb ein. Zunehmende Satellitenkommunikation und nachlassender Vermittlungsbedarf sind die Gründe. Um aber die Hörwache auf dem internationalen UKW-Sprechfunk-Not- und Anrufkanal 16 auch weiterhin sicherzustellen, richtet die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) die Seenotküstenfunkstelle Bremen Rescue Radio ein – sie ist integraler Bestandteil des Maritime Rescue Co-ordination Centres (MRCC) Bremen, der deutschen Rettungsleitstelle See. Die Funker Wilhelm Elies (68) und Onno Heyen (67) haben sowohl bei Norddeich Radio als auch bei Bremen Rescue Radio gearbeitet.
Als die Funkoffiziere Wilhelm Elies und Onno Heyen 1982 bei Norddeich Radio anfangen, erleben sie die Blütezeit der Küstenfunkstelle mit der größten Zahl an Seefunkgesprächen, -telegrammen und -fernschreiben pro Tag. Sie ist für Seeleute, Reedereien und Familien monatelang der einzige Weg für traurige und freudige, geschäftliche und private Nachrichten. Vergleichbares wird heute ausnahmslos per Smartphone oder über Satelliten um die Welt geschickt. Doch zu Beginn der 1980er Jahre ist das mobile Telefon noch Zukunftsmusik, die Satellitenkommunikation steckt noch in ihren Kinderschuhen. Aus diesen wächst sie zugegebenermaßen schnell heraus, es folgt das langsame Sterben der amtlichen Küstenfunkstellen in Deutschland mit ihrer irgendwann veralteten Technik.
1982 ist Norddeich Radio jedoch noch unentbehrlich für die Verbindung der Schiffsbesatzungen auf See mit den Menschen an Land. Wilhelm Elies und Onno Heyen sind wie alle anderen Funker mit ihren Ohren ganz nah dran an den Geschichten von Bord. Da sind beispielsweise die philippinischen Seeleute, deren Gespräche in die entlegenen Dörfer des Inselstaates in Südostasien nicht immer zustande kommen, weil die Verbindung zum einzigen Telefon im Ort einfach abbricht. Manchmal ist Norddeich Radio wegen seiner hervorragenden Funktechnik jedoch die letzte Hoffnung für ausländische Seeleute, wenn über die nationalen Küstenfunkstellen kein Anschluss hinzubekommen ist. „Sie waren uns immer sehr dankbar“, sagt Onno Heyen. Er erinnert sich auch an die irakischen und iranischen Matrosen, die – trotz des ersten Golfkrieges – auf See eines gemeinsam haben: die Sehnsucht nach ihren Familien, nach ihrer Heimat. Diesem Wunsch nach Nähe trägt die traditionsreiche Hörfunksendung „Gruß an Bord“ des NDR ebenfalls Rechnung, die die Küstenfunkstelle von Ostfriesland in alle Welt ausstrahlt. Obwohl dieses Programm mit seinen Botschaften für Seeleute fern von zu Hause nur einen winzigen Teil der Arbeit ausmacht, hat vor allem dies Norddeich Radio weithin bekannt gemacht.
Wilhelm Elies und Onno Heyen mögen ihre Arbeit. Sie sind hoch motiviert, und es bereitet ihnen viel Freude, per Funk Menschen zueinander zubringen. Dennoch verstummen die Stimmen der beiden Funker irgendwann auf den Weltmeeren. Zuerst die von Wilhelm Elies: Aus privaten Gründen zieht er 1992 von der ostfriesischen Küste ins Binnenland nach Oldenburg. Er wechselt vom Funkplatz in die IT-Abteilung der Deutschen Bundespost Telekom, zu der auch Norddeich Radio gehört. Drei Jahre später, kurz bevor die Telekom die Dienste der Küstenfunkstelle nach und nach abschaltet, hört Onno Heyen dort ebenfalls auf. Er übernimmt in dem mittlerweile privatisierten Unternehmen eine Stelle in der Verwaltung. 2007 verlassen beide die Telekom und kehren zu ihren Wurzeln als Funker zurück: Bei den Seenotrettern übernehmen sie die Hörwache in der Seenotküstenfunkstelle Bremen Rescue Radio der Rettungsleitstelle See.
Menschenleben retten
Zu dieser Zeit ist Norddeich Radio längst Geschichte: Ende 1998 hat die letzte deutsche Küstenfunkstelle aufgrund zunehmender Satellitenkommunikation und nachlassendem Bedarf an Seefunkdiensten ihren Betrieb eingestellt – sowohl für Wilhelm Elies als auch für Onno Heyen ein „sehr trauriger Moment“, da sie sich bis heute mit Norddeich Radio eng verbunden fühlen. Gleichzeitig sehen sie in der digitalen Technik einen deutlichen Fortschritt für die Rettung Schiffbrüchiger aus Seenot, weil jetzt mit den meisten Notrufen automatisch Position und Name des Havaristen übertragen werden. Damit küstennahe, weiterhin über UKW ausgestrahlte Alarme von Fischkuttern, Küstenmotorschiffen und Segelyachten auch künftig aufgefangen werden, übernimmt die DGzRS mit der neu eingerichteten Seenotküstenfunkstelle Bremen Rescue Radio die ständige Hörwache auf dem international UKW-Sprechfunk-Not- und Anrufkanal 16 sowie weitere Aufgaben von Norddeich Radio. Für die Küsten- und Kleinschifffahrt ist diese reibungslose Übernahme besonders wichtig, weil deren Schiffe nicht mit Satellitenfunk ausgerüstet sein müssen.
Es dauert 2007 lediglich ein paar Schichten, bis Wilhelm Elies und Onno Heyen die Arbeit in der Seenotküstenfunkstelle und deren Technik verinnerlicht haben. Denn die Inhalte sind ihnen bereits von Norddeich Radio sehr vertraut. Dort haben sie ebenfalls die Notrufkanäle abgehört – allerdings nicht permanent, weil diese Aufgabe rotierte. „Bei den Seenotrettern habe ich in einer Woche mehr Notfälle entgegengenommen als in meinen 13 Jahren bei Norddeich Radio“, bilanziert Onno Heyen rückblickend. Die beiden Funker bleiben bis zu ihrer Rente 2020 dabei, nicht zuletzt weil sie es mögen, Menschen zu helfen. Und genau das machen sie in der Rettungsleitstelle See: Mitunter retten sie Fischern, Seeleuten und Wassersportlern sogar das Leben.
Aufgaben der Seenotküstenfunkstelle Bremen Rescue Radio
- Überwachung der international einheitlichen UKW-Notrufkanäle 16 (Sprechfunk) und 70 (DSC, digitaler Selektivruf/Alarmierung per Tastendruck) sowie des entsprechenden Grenzwellenkanals
- Abwicklung des Not-, Dringlichkeits- und Sicherheitsfunkverkehrs auf UKW
- Aussendung sowie Wiederholung von Not- und Dringlichkeitsmeldungen für die gesamte Schifffahrt