Marie Luise Haldan wird heute 100 Jahre alt
„Ich bin wirklich noch in Carolinensiel geboren. Mein Geburtshaus stand in der Nähe vom jetzigem Kreisel in der Bahnhofstraße. Dort kam ich 1922 als Tochter des Landarztes Dr. Mammen, natürlich als Hausgeburt, zur Welt.“ so beginnt „Marlis“ Haldan zu erzählen.
Vier Jahre habe ich die Grundschule in Carolinensiel besucht. Im städtischen Lyzeum in Jever habe ich mit der mittleren Reife abgeschlossen. Da ich immer Ärztin werden wollte bekam ich mit fünfzehn Jahren ein Zimmer in Oldenburg bei zwei Schwestern. Hier habe ich dann 1941 mein Abitur gemacht. Dann kam der Krieg dazwischen und ich konnte mein geplantes Studium nicht aufnehmen. Eigentlich sollten alle Mädchen in einen Arbeitsdienst eingewiesen werden. Ich hatte das Glück in der Mädchenabteilung des Pius Hospital in Bad Sachsa im Harz, so konnte ich mein Studium doch noch beginnen. Aber schon nach einem halben Jahr musste ich zum weiterem Studium nach Freiburg wechseln. Nach meinem zweiten Semester war dann Schluss mit Studium, da ich noch kein Physikum hatte.
Ich habe mich dann in Wittmund beim Roten Kreuz gemeldet und wurde in das Lazarett nach Hamburg eingeteilt. Hier blieb ich bis 1945 als die Russen einmarschierten. In den letzten Tagen im Lazarett hatten wir über dreitausend Verwundete zu betreuen.
Ende April mussten wir dann alle das Lazarett aufgeben und sind vor den Russen geflohen. Unsere Flucht führte uns alle nach Timmendorf. Mit einer Mitschwester sind wir dann auf eigene Faust, nur mit einem alten Fahrrad, weiter geflüchtet. Zuerst nach Lübeck und dann wieder nach Hamburg und mit einem Sammeltransport konnten wir die Elbe überqueren.
Der Weg war recht mühsam, da kaum Wege frei waren. Da wir aber in Schwesterntracht waren, hatten wir es etwas einfacher Quartier und Essen zu finden.
In einem Kohlentransport konnten wir, zwischen den Kohlen auf der Ladefläche , eine Mitfahrt über Rotenburg/Wümme nach Worpswede erhalten. Von hier aus habe ich mich dann allein weiter mit dem Fahrrad nach Oldenburg aufgemacht. Dort konnte ich wieder bei den Schwestern mein Zimmer beziehen. Ich wollte jedoch weiter zu meinen Eltern, von denen ich nicht wusste ob sie noch leben, nach Carolinensiel. Aber der Ems-Jade Kanal war Sperrgebiet und man musste einen „Kanalschein“ haben. Die Beantragung sollte über drei Wochen dauern. Noch in Uniform tauchten Soldaten auf, die abkommandiert waren, die Versorgung in Schillig sicherzustellen. Hier fand ich wieder eine Mitfahrgelegenheit, natürlich mit meinem Fahrrad, bis nach Jever.
Glücklich bei meinen Eltern angekommen fand ich eine Anstellung als Schulhelferin im Carolinensiel. Man bot mir an ein Studium in Pädagogik aufzunehmen. Doch da wollte ich nicht und wurde Arzthelferin bei meinem Vater in der Praxis.
1951 lernte ich dann meinen Mann kennen. Als Zahnarzt hatte es ihn aus Oberschlesien nach Ostfriesland verschlagen.
Fünf Kinder habe ich großgezogen, bis 1974 mein Mann nach Herzinfarkten verstarb. Als ich alle Kinder „Groß hatte“ habe ich über das Theater im Wilhelmshaven zahlreiche Reisen unternommen. Ich konnte Prag, Moskau, Malta, Budapest, Lissabon und Verona kennen lernen. Auch bei meinem Bruder in Amerika war ich ein paar mal.
Meine letzte Reise habe ich mit über 80Jahren nach Zypern gemacht. Doch solche Flüge waren dann nichts mehr für mich.
Nach einem Schlaganfall habe ich mich im Carolinum hier im Ort wieder hochgekämpft. Mein Ziel war immer meinen hundertsten Geburtshaus in meinem Haus in der Wittmunder Straße zu feiern. Und dies nicht als Besucher wie bei dem neunundneunzigsten Geburtstag.
Jetzt wohne ich seit ca. vier Wochen wieder mit einer polnischen Pflegekraft hier in meinem Haus.
Jeden morgen freue ich mich jetzt, wenn die Zeitung auf dem Tisch liegt und ich mich ausführlich informieren kann. Auch Briefwahl habe ich schon gemacht. Da können heute die Besucher kommen, meine Entscheidung habe ich selbständig gefällt.
Meine vier noch lebenden Kinder, Klaus aus Ludwigsburg, Barbara aus Bad Salzach, Jürgen aus Harlesiel und Ingrid aus Sillenstede werden mit dabei sein.
Und mit den Nachbarn feiere ich später, das ist mein festes Ziel.