Die drei Gebäude des Deutschen Sielhafenmuseums am Museumshafen in Carolinensiel – Groot Hus, Kapitänshaus und Alte Pastorei – werden bis 2022 umfassend saniert und alle Dauerausstellungen neu gestaltet. Im Groot Hus wurden seit März 2020 sämtliche Außenwände saniert, der Giebel neu aufgemauert, die Sanitäranlagen modernisiert und barrierefrei erweitert sowie ein neues Treppenhaus mit Aufzugsanlage eingebaut. Bei der Sanierung der Innenwände traten unter der alten Strukturtapete in den zum Hafen liegenden Räumen historische Schablonenmalereien zutage. Damit wird eine interessante Spur der Baugeschichte des Groot Hus‘ sichtbar.
Das Groot Hus wurde 1840 als repräsentatives Wohn- und Speichergebäude direkt am Sielhafen, heute Museumshafen, errichtet. Für diese besondere Form der Wohnspeicher gibt es in Ostfriesland nur wenige erhaltene Beispiele. In den folgenden Jahren wechselte mehrfach der Hauseigentümer, bis das Bauwerk 1909 Eigentum der Getreidehandelsfirma Gustav Mammen wurde. 1924 ließ sich Gustav Mammen das Erdgeschoss auf der Hafenseite des Groot Hus‘ als neue Wohnung umbauen, in die er von seinem bisherigen Wohnsitz Altgarmsiel aus übersiedelte. Die neuen Wohnräume bezeichneten die Schätzer der „Ostfriesischen Landschaftlichen Brandkasse“ 1925 als „erstklassig eingerichtet“ und setzten den Versicherungswert des Gebäudes, der 1914 bei 44.000 Mark lag, auf 62.030 Reichsmark neu fest.
Nachdem Familie Mammen den Landhandel Ende der 1970er-Jahre aufgegeben hatte, gelangte das Gebäude durch Schenkung der Familie Steinbrecher in den Besitz der Stadt Wittmund, wodurch der Originalbau bis heute nahezu unverändert blieb. Nach behutsamen Umbauarbeiten konnte 1986 das Sielhafenmuseum hier offiziell eröffnet werden. Die hochwertige Raumausstattung im Erdgeschoss mit Türen und Türbeschlägen, dunkel-marmornen Fensterbänken, hölzernen Wandfriesen, die Wandvertäfelung der Garderobe sowie Parkett- und Terrazzo-Fußböden ist heute noch zum größten Teil erhalten. Ein Umbauplan aus dieser Zeit befindet sich im Museumsarchiv. Bei den aktuellen baulichen Maßnahmen wurden in allen ehemaligen
Wohnräumen – Wohnzimmer, Herrenzimmer, Schlafkammern, Küche, Diele und Flur – historische Schablonenmalereien gefunden. Museumsleiterin Dr. Heike Ritter-Eden beauftragte zunächst die Dipl.-Restauratorin für Wandmalerei Ina Heine mit einem restauratorischen Gutachten zur Dokumentation der Farbbefunde und zur Entwicklung eines Restaurierungskonzeptes. Dieses Gutachten haben die Ernst von Siemens Kunststiftung in Berlin und die Stiftung Deutsches Sielhafenmuseum kurzfristig und unbürokratisch finanziert. Es stellte sich heraus, dass die Wandmalereien zum größten Teil aus der Umbauphase von 1924 stammen.
Die Museumsleiterin, die Bauleiterin Angela Tusche vom Architekturbüro UIU in Esens und die Restauratorin Ina Heine verständigten sich zusammen mit Ines Reinema von der Unteren Denkmalbehörde des Landkreises Wittmund und der Bezirksdenkmalpflegerin Caroline Ritter vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege auf eine partielle Restaurierung bzw. Rekonstruktion der vorgefundenen Wandfassungen. Diese sollten in das künftige Ausstellungskonzept integriert werden, um eine historische Wohnsituation anhand authentischer Wandgestaltung für eine breite Öffentlichkeit erlebbar zu machen. Zu diesem Zweck mussten weitere Fördermittel eingeworben werden. Die Ernst von Siemens Kunststiftung hat spontan weitere Mittel für die Restaurierung und Teilrekonstruktion der Dekorationsmalerei als Anschubfinanzierung bewilligt. Auch die Niedersächsische Sparkassenstiftung hat aus Ihrem Corona-Soforthilfe-Programm zur Unterstützung der freiberuflichen Restauratorin Mittel bereitgestellt. Doch zur Finanzierung der rund 35.000 € teuren Maßnahme mussten weitere Unterstützer gewonnen werden. Hier ist die Gerhard ten Doornkaat Koolman-Stiftung in Emden eingesprungen, sowie die Hilke und Fritz Wolff Stiftung in Leer und der Förderkreis Deutsches Sielhafenmuseum in Carolinensiel e.V., die den Hauptanteil der Kosten trugen. Die Kombination aus regionalen und überregionalen Förderern macht die historische Bedeutung und die positive Außenwirkung der Restaurierungsmaßnahme deutlich.
Sämtliche Farbreste der aufgefundenen Schablonenmalereien wurden vom Malermeisterbetrieb Farbwelt von Mirko Feith unter einer Makulaturtapete gesichert. Die neue Wandfassung orientiert sich an den von Restauratorin Ina Heine vorgefundenen und bestimmten Farbtönen. An ausgesuchten Stellen legte die Restauratorin markante Schablonenfelder frei und machte sie durch Retuschen oder Rekonstruktionen wieder sichtbar. So deckte sie in einer Raumecke des ehemaligen Wohnzimmers eine Rabatte aus Rosenmotiven und geometrischen Mustern auf. Die senkrecht dazu verlaufende Bänderung in geometrischen Formen rekonstruierte sie anhand eines Originalbefundes, von dem sie zuvor eine Schablone angelegt hatte. In der ehemaligen Küche legte Ina Heine eine Rabatte aus den zwei abwechselnden Motiven eines Segelbootes und einer Windmühle frei. Nur wenige Retusche-Arbeiten waren nötig, um dieses schöne Küchenmotiv, das an niederländisches, blau-weißes Fliesendekor erinnert, wieder erlebbar zu machen. In sämtlichen früheren Schlafräumen trat ein typisches Rosendekor des Jugendstils auf, das im neuen Treppenhaus als Fensterausschnitt gezeigt wird. Die schönste Überraschung trat im ehemaligen sogenannten Herrenzimmer auf. Der mit Parkett und Holz-Schiebetüren hochwertig ausgestattete Raum war komplett mit senkrechten Farbbändern und Medaillons in floralen Jugendstilmotiven dekoriert. Diese sind mit feinen Begleitstrichen eingefasst und die übrigen Farbflächen mit zartem Pustebumen-Dekor ausgefüllt. An einer Wandseite wurde die vollständige Schablonenmalerei rekonstruiert. Die neue Dauerausstellung wird sich an die Wandgestaltung anpassen, sich harmonisch einfügen und die historische Raumsituation selbst zum Thema machen.
Für das Deutsche Sielhafenmuseum bedeuten die Entdeckung und Wiederherstellung der Lebenswelt der Familie Mammen, die im Groot Hus wohnte und im hinteren Gebäudeteil ihren Landhandel betrieb, einen starken Mehrwert für die neue Dauerausstellung als Ort des Bewahrens, Vermittelns und Erlebens.