Bernd Abels ist seit Anfang April neuer Vormann der Freiwilligenstation Wangerooge der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS). Der 57-Jährige hat das Amt von Roger Riehl übernommen, der sich fast ein halbes Jahrhundert ehrenamtlich als Seenotretter auf der Nordseeinsel engagiert hat – davon allein 42 Jahre als Stationsleiter.
Roger Riehl steht nicht gern im Rampenlicht. „Machen statt reden“, ist einer seiner Leitsätze. Dabei hat der 74-Jährige viel zu erzählen. Aber wo anfangen, wenn ein Leben voller Geschichten ist? Vielleicht mit einer Begegnung, die dazu führt, dass er sich bis heute mit viel Herzblut für die DGzRS engagiert.
Nach einiger Zeit auf dem Festland wohnt Roger Riehl seit Anfang der 1970er-Jahre wieder auf Wangerooge – dort ist er geboren und aufgewachsen. Bald fängt der gelernte Elektriker bei der Kurverwaltung an, ist von Beginn an für die technische Bauleitung und später für die Gesamtleitung des neu gebauten Freizeitbads verantwortlich. Einer seiner Kollegen ist Hermann de Bloom. Die beiden kommen ins Gespräch, auch über die 1971 wieder eingerichtete Station der Seenotretter auf der Insel. Für diese sucht Vormann de Bloom erfahrene Leute – einen findet er in Roger Riehl.
Für Riehl als Inselkind gehört die See von Anfang an zu seinem Leben: „Ich war schon immer mit einem Fuß auf dem Wasser.“ Als Jugendlicher packt er für einige Wochen im Jahr auf Küstenmotorschiffen von Verwandten mit an: Sie bringen Autos von Emden ins schwedische Göteborg oder Zellulose aus dem norwegischen Moss nach Deutschland – die Häfen Englands, Spaniens und Portugals sind weitere Ziele. Und obwohl Roger Riehl nie ein eigenes Boot besessen hat, ist er eines der ersten Mitglieder des 1968 gegründeten Wangerooger Yachtclubs. Doch so sehr ihn die See auch lockt, mit einem Fuß bleibt er stets auf der Insel.
Menschen helfen
Im Sommer 1976 steigt Roger Riehl bei der DGzRS ein, sechs Jahre später wird er Vormann der Freiwilligenstation. „Ich bin noch heute froh, diesen Schritt damals gemacht zu haben. Es hat immer alles super gepasst“, blickt der mittlerweile 74-Jährige sehr positiv auf die vergangenen fast 50 Jahre zurück. Aber nun ist es an der Zeit, einen Schritt zurückzutreten und Jüngere vorzulassen, die jetzt vorrangig Nachwuchs für die Station gewinnen müssen. Er selbst bleibt mit seinem großen Erfahrungsschatz Teil der Crew. Ein wesentlicher Grund für sein langjähriges, freiwilliges Engagement: „Ich möchte den Menschen helfen, die da draußen in Gefahr sind, und sie wieder sicher an Land bringen.“ Von Beginn an reizt es ihn, mit den Seenotrettungsbooten im Nebel oder bei schlechtem Wetter zu navigieren, sich mit der Bordtechnik auseinanderzusetzen, die mit jeder neuen Rettungseinheit anspruchsvoller wird.
Auch deshalb ist er Ende der 1990er Jahre einer der Vorleute, die die Planung der völlig neu konstruierten 9,5 -Meter-Klasse eng begleiten und ihr Praxiswissen einbringen. Dabei bleibt es nicht: Die erste Einheit der neuen 9,5-Meter-Klasse wird 1999 auf Wangerooge stationiert. „Das war für mich eine besondere Ehre“, sagt Roger Riehl rückblickend. Und diese wird noch ein bisschen größer, als seine damals 14-jährige Tochter Swenja das Seenotrettungsboot auf den Namen WILMA SIKORSKI tauft.
Es ist die zweite von insgesamt drei Taufen, die Roger Riehl miterlebt. Wie viele Einsätze er hingegen gefahren ist, vermag er nicht zu sagen. Er hat sie nie gezählt, ist immer froh gewesen, „wenn sie gut ausgegangen sind“. Denn mitunter geraten auch die freiwilligen Seenotretter da draußen selbst in gefährliche Situationen.
Roger Riehls Nachfolger Bernd Abels kann sich noch genau an seinen ersten Einsatz vor mehr als 23 Jahren erinnern: Zwischen Wangerooge und Spiekeroog schlägt ein Motorboot leck – es droht zu sinken. Schnell sind die freiwilligen Seenotretter vor Ort. Sie dichten den Rumpf ab, nehmen anschließend den etwa 12 Meter langen Havaristen auf den Haken. Abels selbst ist gerade erst das zweite Mal an Bord der WILMA SIKORSKI. Dennoch steht er bei diesem Manöver schon am Ruder des Seenotrettungsbootes. „Am Anfang musste ich aufpassen, dass sich unser Schleppanhang nicht um eine Tonne wickelt, und als wir später in Harlesiel einliefen, dass wir nicht auf dem Steindamm landen. Für mich war das ganz schön stressig“, sagt er und lacht.
Jeder hilft jedem
Trotzdem bleibt Bernd Abels dabei: Schließlich kann er bei den Seenotrettern anderen „helfen, die in Not geraten sind“. Das ist seine Motivation, sein Antrieb. Das Einstehen für andere Menschen lernt er von klein auf an. „Auf Wangerooge hilft jeder jedem, jeder achtet auf den anderen. Das zeichnet das Leben hier aus“, sagt der 57-Jährige. Es ist diese große Gemeinschaft auf der rund acht Quadratkilometer kleinen Insel, die er auf dem Festland ebenso vermisst wie die Nordsee. Neun Jahre hält es der gelernte Bäcker fern der Heimat aus. Anfang der 1990er Jahre kehrt er dorthin zurück, wo er aufgewachsen ist und jeden Winkel der Dünen, Salzwiesen, Strände und Marschen kennt.
Und eines hat sich Bernd Abels vor seiner Rückkehr geschworen: „Wenn ich wieder auf Wangerooge lebe, hole ich mir ein Boot.“ Zuerst kauft er sich einen Katamaran, später ein Kajütboot. Es ist die Freiheit, die ihn auf die See zieht. Dort kann er selbst entscheiden, wohin die Reise geht. „Ich liebe es morgens in der Plicht zu sitzen, zu frühstücken und aufs Wasser zu blicken.“ Dabei weiß er seit seiner Kindheit um die Gefahren des Reviers rund um die Insel: Die Fahrwasser verändern sich durch tidebedingte Sandverlagerungen ständig – wo heute noch genügend Wasser unterm Kiel ist, kann morgen schon eine Untiefe sein.
Wenn Bernd Abels gerade nicht auf See ist, fährt er mit dem Fahrrad über die autofreie Insel zu seinem Job – für ihn „ein Stück Lebensqualität“ – und kümmert sich als Gemeindemitarbeiter „um alles, was so anfällt“. Und manchmal lässt er die Kehrmaschine einfach stehen, weil da draußen jemand in Gefahr ist, der die Hilfe der freiwilligen Wangerooger Seenotretter braucht, um wieder sicher an Land zurückzukehren.